Eine kleine Geschichte der Blasmusik in Forstenried
Am Abend des 11. Dezember 1992 fanden sich im Feuerwehrhaus zu Forstenried acht Bürger zusammen, um die Gründung des Vereins "Blaskapelle Forstenried e.V." zu beschließen und – nach einigen schwierigen Jahren – das Fundament für eine neue Blaskapelle zu legen. Die Wurzeln der Forstenrieder Blasmusik gehen jedoch weit zurück bis in die Anfangsjahre des letzten Jahrhunderts. Diese Chronik gibt einen kleinen Einblick in die wechselvolle Geschichte der Blasmusik in Forstenried.
Das musikalische Leben in Forstenried ab 1912
Vieles deutet darauf hin, dass mit der Eingemeindung Forstenrieds im Jahre 1912 auch ein Aufschwung im musikalischen Leben begann. Das Notenarchiv der Blaskapelle Forstenried enthält Notenblätter und -bücher von zahlreichen Münchner Kapellmeistern, die seit den zwanziger Jahren bis in die fünfziger Jahre hinein das musikalische Leben der Stadt und ihrer Außenbezirke mitgestaltet haben. Namentlich genannt seien in diesem Zusammenhang Sepp Lang, vormals Kapellmeister der Münchner Oberlandlerkapelle und 1946 Kapellmeister am Platzl, Stefan Seidl, der als Komponist in München auch ein "Büro für musikalische Arrangements und Instrumentirungen" unterhielt, die ehemaligen (Militär-)Kapellmeister Franz Kellner, Max Küspert und Hans Wachter, schließlich Thomas Hofer, Martin Klein und Hans Oesterlein, Rudolf Greif, Georg Durst, Hans Schmidt, Michael Reitberger sowie die Musikanten Anton, Josef, Walter und Max Niefenecker.
Wie die vorhandenen Notenblätter belegen, waren die Kapellmeister durchaus weit gereist: Hans Wachter schrieb im Jahr 1925 einige seiner Arrangements in Saarbrücken. Sepp Lang hielt sich 1936 in Kaiserslautern, 1937 in Dresden, 1938 in Hamburg und von 1940 bis 1946 wieder in München auf und schrieb an diesen Orten auch immer wieder Arrangements für kleine Besetzungen. Aus der Sammlung von Sepp Lang sind übrigens auch Notenblätter der Hamburger Kapellmeister Adolf Klüver und Karl Süberling erhalten.
Militärmusik und Musik-Kapelle Forstenried
Die teils handschriftlichen, teils gedruckten Notenblätter im Archiv der Blaskapelle Forstenried stammen überwiegend aus der Zwischenkriegszeit, teilweise aber auch noch aus der Zeit der Monarchie, wie die Stempelaufdrucke des Kgl. Bayrischen Infanterie Leibregiments (später: Reichswehr Infanterie Regiment) oder des Kgl. Sächsischen Landwehr Regiments 388 zeigen. Insbesondere diese und weitere Notenblätter des Trompeterkorps der 4. Nachrichtenabteilung sind über Franz Kellner und Sepp Lang in die Notensammlung von Max Niefenecker gelangt und legen Zeugnis darüber ab, wie das Repertoire der Militärmusikkorps nach und nach Eingang in die "zivile" Unterhaltungsmusik gefunden hat: Die Militärmusiker schrieben damals in ihrer Freizeit aus den ihnen zugänglichen Musikstücken für kleine Besetzungen und zu privaten Zwecken außerhalb des Dienstbetriebes Arrangements, die nach Ende der Dienstzeit (spätestens 1945) bei ihnen verblieben.
Die ältesten mit Jahreszahlen versehenen und damit eindeutig datierbaren Notenhandschriften sind die Marschbücher und Tanzhefte des Kapellmeisters und Musiklehrers Michael Reitberger aus den Jahren 1919 und 1920 sowie handgeschriebene Arrangements aus dem Jahr 1917, die von verschiedenen Militärmusikern während des 1. Weltkrieges in Flandern niedergeschrieben wurden. Das Notenmaterial des Michael Reitberger bildete später die musikalische Grundausstattung der "Musik-Kapelle Forstenried" bei deren Gründung im Jahr 1927. In den Jahren davor war die Kapelle auch als "Elbachtaler Blaskapelle" aktiv. Erste Kapellmeister in Forstenried waren ab 1923 Hans Zwick, sein Nachfolger Peter Hemeter und ab 1927 Max Niefenecker.
Die "Forstenrieder Besetzung" ab 1927
Eine einzelne Notenmappe aus jener Zeit trägt die Bezeichnung "Trachtenkapelle Forstenried". Möglicherweise wurde aus dieser Trachtenkapelle heraus die "Musik-Kapelle Forstenried" gegründet. Die Forstenrieder Josef, Anton und Max Niefenecker bildeten in der Kapelle durch die Besetzung der drei wichtigsten Melodiestimmen das musikalische Rückgrat, Walter Niefenecker spielte die Basstrompete. Kern dieser "Forstenrieder Besetzung" war eine typische neunstimmige Bayrische Blechmusik, die bei Bedarf um die große und kleine Trommel oder eine so genannte Clarinettenmusik (bestehend aus einer Es-Klarinette, zwei B-Klarinetten und einer Flöte in Des) erweitert werden konnte. Die Blechmusik selbst umfasste die Stimmen Alt-(Flügel)horn, Flügelhorn, Trompete I, Trompete II (alle in B), Posaune, Basstrompete I, Basstrompete II, Trompete II in Es und Basstuba, also vier Melodie- und fünf Begleitstimmen. In den älteren Notenblättern waren zudem die Trompetenstimmen in B nicht vorhanden, die Melodie wurde hier neben dem Flügelhorn (in B oder C) bzw. dem Piston (in B) mit zwei Es-Trompeten geblasen. Bemerkenswert ist, dass sich diese Besetzung über vier Jahrzehnte bis in die sechziger Jahre hinein gehalten hat, als in anderen Kapellen längst die Flügelhörner doppelt besetzt waren und das zweite Flügelhorn die Altstimme übernommen hatte. Das Althorn ist mittlerweile durch die Stimme des heute gebräuchlichen Tenorhorns verdrängt worden, die Posaune, welche in der "Forstenrieder Besetzung" als Tenorstimme zwischen Melodieregister und Begleitregister vermittelte, wurde zwischenzeitlich durch den Bariton ersetzt und statt der beiden Basstrompeten im Nachschlag findet man heute zwei Posaunen. Die Es-Trompete ist ersatzlos entfallen.
Überleben während der NS-Zeit bis 1945
Die 1927 gegründete "Musik-Kapelle Forstenried" bestand etwa sieben Jahre. Im Jahr 1934 (aus dieser Zeit datieren die letzten handgeschriebenen Märsche in den Marschbüchern der "Musik-Kapelle Forstenried") hat diese Kapelle wohl ein für diese Zeit nicht untypisches Schicksal ereilt – im Zuge der Gleichschaltung kam es zur Auflösung. Bekanntlich wurden im Rahmen der Umsetzung des Ermächtigungsgesetzes ab 1933/34 auch zahlreiche Vereine in bestehende nationalsozialistische Gliederungen integriert (z.B. SA-Sturmbann München), bekamen hinsichtlich ihrer Vereinsstruktur das Führerprinzip verordnet (z.B. die Betriebskapellen in der "Nationalsozialistischen Betriebskapellen-Organisation") bzw. wurden aufgelöst. Möglicherweise sind die Forstenrieder Musiker mit der Auflösung ihrer Kapelle einer drohenden Zwangseingliederung bzw. Zwangsauflösung zuvorgekommen. Handschriftliche Notenblätter aus dem Jahr 1936, denen der Stempel des Vereins fehlt, deuten aber auch darauf hin, dass die "Musik-Kapelle Forstenried" zu dieser Zeit als namenlose Kapelle in gleicher Besetzung weiter aktiv war.
Die Tatsache, dass die Notensammlung der Familie Niefenecker heute noch so vollständig ist, zeigt jedenfalls, dass es erfolgreich gelungen war, diese sowie die Sammlungen von Michael Reitberger und Max Niefenecker dem Zugriff nationalsozialistischer Organisationen zu entziehen und durch die Kriegs- und Nachkriegswirren hindurch zu retten. Dieser Schluss drängt sich deswegen auf, weil im Gegensatz zu den Notenblättern von Betriebskapellen oder NS-Gliederungen der damaligen Zeit die Forstenrieder Notenbücher und -blätter nicht mit dem sonst üblichen Stempelaufdruck einer entsprechenden NS-Organisation versehen sind.
Die Familie Niefenecker und die "Kapelle Max Niefenecker"
Die Familie Niefenecker war in Forstenried also auch nach der Auflösung der Kapelle sowie nach Kriegsende weiterhin musikalisch aktiv und konnte dabei auf den bewahrten Fundus sowie persönliche Kontakte zu anderen Musikanten bzw. Kapellmeistern zurückgreifen. Es ist anzunehmen, dass die Niefeneckers in Musikantenkreisen durchaus bekannt und auch gefragte Aushilfsmusikanten in einer Art Münchner Musikanten-Netzwerk waren. Anders lässt sich die Zusammenführung derartig vieler Notensammlungen unterschiedlicher Kapellmeister nur schwer erklären. Die Notensammlung der Familie Niefenecker selbst wurde wohl durch diese Kontakte in den folgenden Jahrzehnten beträchtlich erweitert.
In der Zeit zwischen 1945 bis 1979 präsentierte sich die "Kapelle Max Niefenecker" im Münchner Süden mit der damals gefragten Gebrauchsmusik: Märsche, Lieder, Schuhplattler, Tanz- und Unterhaltungsmusik der zwanziger, dreißiger, fünfziger und sechziger Jahre, außerdem zeitlose Ständchen und Beerdigungsmusik. Mit dem Vordringen der "Pressluftmusi" (Hans Hindelang) in den siebziger Jahren ging die Zeit dieser Kapelle zu Ende, wobei auch die Altersstruktur der Musikanten eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte. Die über Jahrzehnte zusammengetragene Notensammlung der Familie Niefenecker wurde später an den Forstenrieder Matthias Hess übergeben.
Ein erster Neuanfang: Die Blaskapelle Forstenried
Im Anschluss an die Auflösung der "Kapelle Max Niefenecker" beschlossen Matthias Hess und der inzwischen verstorbene Josef Seidl, in Forstenried die Tradition der Blasmusik fortzuführen und begannen ab 1982 mit großem Engagement, eine neue Kapelle mit dem Namen "Blaskapelle Forstenried" aufzubauen. Es ist ihnen zu verdanken, dass auch die heutige Blaskapelle Forstenried über einen reichen Fundus an Notenmaterial und Inventar verfügt. Als Josef Seidl, Kapellmeister von 1981 bis 1986, die Kapelle verließ, konnte man auf nahezu sechs erfolgreiche Jahre zurückblicken, in denen das Repertoire erweitert worden war und auch die Zahl der Musikanten beträchtlich zugenommen hatte: Im Jahre 1988 bestand die Blaskapelle Forstenried zeitweise aus 33 Musikanten. Nachfolger von Josef Seidl wurde Josef Mayer, der jedoch bald aus gesundheitlichen Gründen den Stab an Karl Heinz Richter weiterreichen musste. Auch dieser blieb nicht lange, so dass die Leitung der Kapelle an den Neurieder Musiklehrer Jürgen Gröblehner überging. Nach einer Zeit interner Probleme zerbrach jedoch 1992 die Blaskapelle Forstenried.
Vereinsgründung 1992
Ende 1992 fanden sich mit Josef Bauer, Erich Pfaffenberger, Franz Schmid, Hermann Wolf, Stephan Grüner, Matthias Hess, Gabi Mühlbauer und Götz Roller vier Vertreter der Forstenrieder Ortsvereine und vier Mitglieder der Vorgängerkapelle zusammen, um die bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts zurückreichende Blasmusiktradition in Forstenried fortzusetzen. In der Gründungsversammlung wurde beschlossen, die Blaskapelle Forstenried als Verein in das Vereinsregister beim Amtsgericht München eintragen zu lassen. Zum ersten Vorsitzenden des Blaskapelle Forstenried e.V. wurde Matthias Hess gewählt, der sich 1980 nach der Auflösung der Forstenrieder „Kapelle Max Niefenecker“ zusammen mit dem Kapellmeister Josef Seidl schon einmal um die Fortsetzung der Blasmusiktradition in Forstenried verdient gemacht hatte.
1993 startete die Blaskapelle Forstenried so mit nur vier aktiven Musikern. Dennoch wurden erste Auftritte als "Telefonkapelle" gespielt: Wenn ein Engagement angefragt wurde, begann das Telefonieren (damals noch mit Wählscheibentelefon), um für alle fehlenden Stimmen – und das waren einige – Aushilfen zu organisieren. Besonderer Dank gilt hier der Pfarrei Hl. Kreuz Forstenried, die das Risiko einging, die noch auf etwas wackligen Beinen stehende Blaskapelle zum Fronleichnamsfest mit Prozession und Frühschoppen im Pfarrgarten zu engagieren. Diesen ersten Auftritt der neuen Blaskapelle kommentierte der damalige Stadtpfarrer Johannes Wohlfarter mit den Worten: "Alle Töne habt ihr noch nicht so richtig getroffen, aber wir sind stolz darauf, in Forstenried wieder eine Blaskapelle zu haben!" Das war Lob und Ansporn zugleich! An Weihnachten 1993 lud der Verein alle Aushilfen zum Dank zu einer kleinen Weihnachtsfeier ein. Dabei entstand die Idee, sich ab dem Jahr 1994 zu regelmäßigen Probeabenden zu treffen. In relativ kurzer Zeit schlossen sich weitere Musiker der Blaskapelle Forstenried an, es gab immer mehr Auftritte zu spielen, die Blaskapelle Forstenried war wieder da!
Aufbau der Blaskapelle und neue Ensembles
Den Aufbau und die musikalische Leitung der so neu gegründeten Blaskapelle übernahm ab 1993 Stephan Grüner, der 1995 auch 1. Vorsitzender des Vereins wurde. Nach mühevollen, aber auch erfolgreichen Aufbaujahren entstanden ab dem Jahr 2000 bzw. 2014 unter dem Dach der nicht nur im Münchner Süden gefragten Blaskapelle Forstenried eine Holzbläsergruppe und ein Bläserensemble, die das musikalische Angebot für Bürger, Vereine und Institutionen zusätzlich bereichern. Mit Stephan Grüner als Kapellmeister wurde und wird auch ein besonderes Augenmerk auf die Kirchenmusik gelegt. Das Bläserensemble der Blaskapelle hat sich dadurch seit seiner Gründung bei der Gestaltung
von Gottesdiensten und feierlichen Anlässen mit konzertanter Bläsermusik einen hervorragenden Ruf erworben.
Die Blaskapelle spielt bei etwa 30 Auftritten im Jahr zur Unterhaltung bei Veranstaltungen oder zur Gestaltung kirchlicher Anlässe auf. Viele Veranstalter wie die Pfarreien Hl. Kreuz Forstenried und St. Karl Borromäus, die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), der Trägerverein "Kultur und Mehr" des Bürgersaal Fürstenried, die politischen Parteien und natürlich die Forstenrieder Ortsvereine halten der Blaskapelle von Anbeginn an die Treue. Viele der (ehemaligen) Musiker sind inzwischen in die Jahre gekommen, einige nicht mehr unter uns. Immer sind aber wieder auch neue Musiker zur Blaskapelle hinzugestoßen. Die Blaskapelle blickt somit zuversichtlich in die Zukunft. Der
heute noch genauso wie früher spürbare freundschaftliche Zusammenhalt der Musikerinnen und Musiker und das Engagement der Mitglieder haben die Blaskapelle immer durch die Höhen und Tiefen ihrer Geschichte geleitet und werden sie auch weiter begleiten.
Entstehung der Chronik
Diese Chronik wurde von Dr. Götz Roller begründet und von Stephan Grüner fortgeführt. Sie ist mit großer Sorgfalt zusammengetragen, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Hinweise auf weitere geschichtliche Quellen sind herzlich willkommen. Für die Recherchen zur Erstellung der Chronik gebührt Dr. Götz Roller besonderer Dank. Dank auch an Petra Haselsberger und Matthias Hess für die wertvollen historischen Fotos.